1700 Jahre

– jüdisches Leben in Deutschland Teil 1

mit besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Juden in Hamburg

Der Beginn des jüdischen Lebens in unserem Land ist in Köln dokumentiert:

Am 21. 12. 321 erlaubt der römische Kaiser Konstantin in einem Dokument den Ratsherren in Köln, Juden in ihre Reihen aufzunehmen. Dieses Dokument wird in der Bibliothek des Vatikans aufbewahrt. Es beweist, dass es schon sehr früh eine jüdische Gemeinde nördlich der Alpen noch vor den christlichen Gemeinden gab. Man versprach man sich in Köln von den jüdischen Ratsherren wohl einen finanziellen Gewinn!

Titelseite Broschüre „Das Dekret von 321:
Köln, der Kaiser und die jüdische Geschichte“ miqua Köln

Woher kamen die Juden Kölns und den anderen Orten westlich des Rheins? Nachdem sie in zwei Kriegen gegen die Römer aus ihrem Land Israel vertrieben wurden (66 n. Chr.), waren sie entweder als Händler oder als Sklaven in römischen Diensten unterwegs. Erstere genossen oft hohes Ansehen.

Ein Großkaufmann namens „Isaak“ war am Hof Kaiser Karls des Großen tätig. Er wurde mit einer Gesandtschaft um 800 zum Kalifen Harun- al- Raschid nach Bagdad geschickt und brachte sogar einen Elefanten von dort mit.

Bis zum MITTELALTER hören wir dann von jüdischem Leben am Rhein sehr wenig. Aber im 10. und 11. Jahrhundert bilden sich jüdische Gemeinden mit einer Zahl von ca. 20.000 Juden. Sie strömen als Kaufleute aus Italien und Südfrankreich in die rheinischen Städte, weil das jüdische Leben dort aufblüht.

Vor allem die Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz („SchUM“ –Städte) sind berühmt für ihre jüdischen Lehrer.

In Worms wirkt der bekannteste Gelehrte RASCHI (Rabbi Schlomo ben Jizchak 1041-1105), dessen Kommentar zur Bibel und zum Talmud bis heute hochgeachtet wird. Es entstehen Synagogen mit jüdischen Lehrhäusern in Worms (1034), Köln (1012) und Trier (1066).

Der älteste jüdische Friedhof in Worms ist unweit des Doms.

Juden durften nur aufgrund von bischöflichen und kaiserlichen Privilegien in diesen Gebieten wohnen. Sie wurden geduldet, da sie als Geldgeber und Händler nützlich waren.

Weil Christen Zinsnehmen verboten war, mussten Juden das Kreditgeschäft betreiben. Der hohe Zins (Wucher) wurde ihnen vorgeschrieben von der Obrigkeit. Sie waren von den christlichen Zünften ausgeschlossen. Juden lebten in eigenen Stadtquartieren („Judengasse“), hatten eine Selbstverwaltung und durften z.T. Waffen tragen.

Ihre Situation änderte sich grundlegend in der Zeit der KREUZZÜGE.

Die Kreuzritter, die im Jahr 1096 auszogen, um die Pilgerstätten im Heiligen Land (Israel) von den Muslimen zurückzuerobern, brachten auf ihrem Zug durch Europa zuerst die für sie ebenso ungläubigen Juden um. Zehntausende Juden, die sich weigerten sich taufen zu lassen, kamen durch Mord bzw. Freitod um ihr Leben.

Von nun an waren Juden für Christen nicht mehr Nachbarn, sondern allein Ungläubige. Sie wurden in Ghettos eingesperrt, mussten Schutzsteuern an die Kaiser oder Fürsten zahlen und waren Bürger zweiter Klasse. Das römische Konzil von 1215 schrieb sogar eine Kennzeichnung der Juden mit dem Judenhut und einem gelben Fleck vor.

Wer denkt hier nicht an den gelben Stern in der Nazizeit! Juden wurden als Gottes-Mörder beschimpft und des Ritualmordes oder gotteslästerlicher Hostienschändung bezichtigt. Es wurde fälschlich behauptet, dass Juden in der Passahwoche (zu Ostern) ihre Mazzenbrote mit dem Blut christlicher Kinder backen. Hostienschändung meint, dass Juden Jesus nochmals töten, indem sie Hostien durchbohren und bluten lassen. Viele jüdische Gemeinden wurden aufgrund der Lügen ausgelöscht. Während der PEST werden Juden als angeblich Brunnenvergifter verfolgt. Im Elsass und am Rhein wurde die Hälfte aller jüdischen Siedlungen zerstört. Bis 1520 waren Juden aus den großen Städten vertrieben.

Im Buchdruck verbreitet sich das Bild der „Judensau“. Juden fliehen nach Osteuropa, wo keine christlichen Herrscher regieren (Litauen), sie als Händler und Handwerker gefragt sind (Polen). Hier entsteht Jiddisch: Mittelhochdeutsch mit hebräischen und slawischen Wörtern.

Schlechte Zeiten und bessere Zeiten für Juden in der Neuzeit

Erst mit der Regentschaft von Kaiser KARL V. ändert sich etwas für die verbliebenen Juden in Deutschland.

Auf dem Reichstag 1544 in Speyer beklagen sich Juden über Misshandlungen und die Missachtung ihrer Rechte. Rabbiner ROSEL VON ROSHEIM setzt sich für ihre Rechte ein. Karl V. erneuert den Schutz der Juden und bestätigt ihre Privilegien. Jeder soll das Recht haben, seinen Geschäften nachzugehen und freies Geleit haben, keine Obrigkeit soll sie mit Zoll oder Steuer belasten.

Das betraf die noch ca. 10.000 verbliebenen Juden (3.000 in Frankfurt/M). Damit wurden auch die bösen Ratschläge Martin Luthers hinfällig, die er 1543 in der Hetzschrift: „Von den Juden und ihren Lügen“ an die Fürsten gerichtet hatte: Juden zu enteignen, zu vertreiben und ihre Synagogen, Gebet- und Lehrbücher zu verbrennen.

Von den Juden und deren Lügen
Dr. M. Luther

In dieser Zeit werden die Juden in Spanien Opfer der Inquisition. Jene, die die Taufe verweigern, wurden auf Scheiterhaufen verbrannt.

Getaufte Juden, denen man misstraut, werden „Maranos“, d.h. Schweine genannt. Sie flüchten in die Türkei, nach Italien, in den Balkan und über Portugal nach Holland. In Amsterdam entsteht eine große Gemeinde der Sepharden (spanische Juden).

Ab 1600 tauchen sie in Hamburg auf. Sie dürfen im dänischen Altona 1611 in der Königstrasse einen Friedhof einrichten (nun unter Denkmalschutz). Sie können hier auch eine Synagoge betreiben, was den Hamburger Juden durch Kirchenleute verwehrt wird. Auch in Harburg entsteht eine kleine Gemeinde, mit Synagoge und eigenem Friedhof.

Jüdischer friedhof Harburg: Kriegerdenkmal aus dem 1. Weltkrieg mit Stahlhelm, Davidstern und Menora

Nach dem 30-jährigen Krieg (1648) bessert sich die Lage der Juden in deutschen Landen. Sie sind Landesherren unterstellt, die mit Judenordnungen ihr Leben regeln. Landjuden sind oft arm und unterwegs als Hausierer, Lumpensammler, Kesselflicker.

Die Bessergestellten haben Kneipen sind Viehhändler. Nach blutigen Verfolgungen durch die Kosaken in der Ukraine nimmt der Große Kurfürst in Brandenburg 1671 fünfzig aschkenasische Familien als Schutzjuden aufgrund neuer Verordnungen auf. 1714 wird eine Synagoge in Berlin gebaut. Viele Juden, die in Wien und Bamberg vertrieben werden, flüchten nach Berlin. Dort leben um 1700 etwa 1.000, im ganzen Reich um 25.000 Juden. In dieser Zeit kommen auch viele von ihnen aus dem Osten nach Hamburg.

Erst in der Zeit der französischen Besatzung durch Napoleon werden sie hier 1810 als gleichberechtigte Bürger anerkannt. Die Hamburger Jüdische Gemeinde (A-H-U bestehend aus Altona, Hamburg, Wandsbek) ist mit 6.400 Mitgliedern zeitweise die größte in Deutschland.

Es ist der jüdische Jurist Gabriel Riesser, der sich für die Gleichstellung der Juden einsetzt: In der Frankfurter Paulskirche beschließt die deutsche Nationalversammlung unter Vorsitz von Riesser 1849 Bürgerrechte für die Juden (wird später von Hamburg übernommen). Erst mit der deutschen Reichsgründung 1870/71 bekommen Juden in Deutschland de facto volle Bürgerrechte. Nachdem in Altona in der Papagoyenstr. 1680 eine große Synagoge entstanden war, wird jetzt in der Poolstr. eine moderne Synagoge – Tempel genannt – der liberalen Juden errichtet (1844). Hier wird in deutscher Sprache gebetet, gepredigt und mit Orgelbegleitung gesungen – zum Unbill der orthodoxen Gemeinde, die auf Hebräisch betet!

Weiter zum 2. Teil

Text: Friedrich Quaas, Pastor i.R.